Hans-Jürgen Müller, Sprecher der GRÜNEN im Hessischen Landtag für Landwirtschaft, Tierschutz, Wald und Jagd nimmt Stellung zu den kürzlich erschienen HNA-Artikeln vom 19. Juli und 24. Juli, in denen die Sorgen der Jäger bezüglich Bestandsdichten sowie der genetischen Vielfalt von Rotwild dargestellt wurden.
„Der HNA-Artikel vom 19. Juli stellt einen schon lange bestehenden Grundkonflikt sehr einseitig dar. Viele Jäger, von denen einige immer noch durch die Trophäenjagd geprägt sind, haben ein großes Interesse an einem starken Rotwildbestand. Für land- und forstwirtschaftliche Kulturen sowie die Waldverjüngung ist ein hoher Rotwildbesatz jedoch kontraproduktiv. Angesichts des Klimawandels und der daraus resultierenden Waldschäden ist eine Wiederbewaldung mit resilienteren Mischwäldern dringend notwendig. Daher ist eine lebensraumangepasste Anzahl von Rotwild sowohl aus naturschutzfachlicher als auch wirtschaftlicher Sicht für Landwirtschafts- und Forstbetriebe entscheidend“, so Müller.
Richtigzustellen sei, dass in der Schalenwildrichtlinie nicht von einer einseitigen Reduktion die Rede ist. Vielmehr geht es um eine Bejagung nach Geschlecht und Alter, die sich an den Schälschäden orientiert. Diese Richtlinie war ein erster, wichtiger Schritt, um eine ökologisch und ökonomisch nachhaltige Waldbewirtschaftung zu fördern, erklärt der Grünen-Politiker.
Die Schalenwildrichtlinie sieht vor, dass ab bestimmten Schälschadenprozenten an Buche und Fichte die Abschussquoten erhöht werden müssen. Müller betont, dass zukünftig der gesamte Lebensraum und das Waldgefüge, inklusive der Fähigkeit zur natürlichen Verjüngung, berücksichtigt werden sollten. Weisergatter, in denen der Einfluss des Schalenwildes auf die Vegetation beurteilt wird, sind hierfür hilfreich. „Für einen klimastabilen, ökologisch wertvollen Wald muss auch die Begleitflora mit Kräutern, Gräsern und Blühpflanzen einbezogen werden. Sanktionen bei Nichteinhaltung der Abschusszahlen sollten ebenfalls erwogen werden“, so Müller.
Die Sorge vor einer genetischen Verarmung des Rotwildes in Nordhessen hält Müller für „reine Panikmache“. Lediglich in einem Rotwildgebiet in Mittelhessen hätten Wissenschaftler solche Gefahren beschrieben, was auf die Zerschneidung der Offenlandschaft durch Autobahnen zurückzuführen sei. Andere hessische Rotwildgebiete wie Spessart, Reinhardswald, Taunus, Meißner-Kaufunger Wald, Seulingswald und Burgwald-Kellerwald zeigen laut Gutachten gute populationsgenetische Kennwerte und geringe Inzuchtgrade. Müller schlägt vor, dass Jäger die Wanderungstendenzen von Rotwild fördern, indem in rotwildfreien Wanderkorridoren kein Rotwild geschossen wird.
Auch die im März und April 2023 durch Befliegung durchgeführten Bestandsmessungen, die sehr hohe Bestandsdichten von über 20 Stück Rotwild pro 100 Hektar (siehe HNA-Artikel vom 24.07.) ergaben, müssen hinterfragt werden. Literaturangaben zufolge sind tragbare Wilddichten von circa 2 Stück pro 100 Hektar üblich. Vermutlich werde das Rotwild in Gebieten wie der Nordwestseite des Meißners oder im Vierbacherwald regelrecht „gezüchtet“ und gefüttert, anstatt angemessen bejagt, vermutet Müller.
Müller betont, dass Rotwild ursprünglich ein Steppentier sei, das durch den Menschen in den Wald zurückgedrängt wurde, da die Offenlandschaft durch intensive Landwirtschaft und Siedlungstätigkeit unattraktiv geworden ist. In der Steppe hatte das sich vorzugsweise von Gräsern und Kräutern ernährende Rotwild Nahrung im Überfluss. Heute bleibe dem Rotwild zur Ernährung neben Getreide, Wild Obst, Bucheckern, Eicheln wenig Gras im Wald. Dafür werden dort junge Knospen gefressen und im Spätwinter sogar die Rinde nahezu aller Baumarten. Dieses Schälen der Bäume lasse Fäulniserreger recht leicht eintreten und so den Rohstoff Holz verderben. Und dies in Zeiten, wo der Wald und das darin produzierte Holz eigentlich ein wertvoller CO-Speicher zur Minderung der Treibhausgase sein muss.
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