Die Corona-Krise stellt unser Leben momentan auf den Kopf. Für uns alle bedeutet die Krise Unsicherheit und Veränderung. Die Systemrelevanz der Landwirtschaft wird gerade in diesen Zeiten deutlich. Viele Bäuerinnen und Bauern aber auch verarbeitende Betriebe sorgen sich um eventuelle Erkrankungen und die damit einhergehende Quarantänesituation. Die drohenden Maßnahmen bedeuten für die Betriebe eine Gefährdung der Arbeitsabläufe und Produktion. Landwirtschaft arbeitet mit Naturkreisläufen und viele Arbeiten können nicht aufgeschoben werden, Tiere müssen versorgt werden. Auch die Situation auf den Märkten wird mit Sorge gesehen. Was bedeuten die Grenzschließungen für verderbliche Lebensmittel und für den internationalen Warenstrom? Viele Landwirtschaftsbetriebe sind längst abhängig von globalen Warenströmen und Lieferketten.
Gerade jetzt müssen die bestehenden und sich zuspitzenden Herausforderungen in den Blick genommen werden.
Viele Betriebe stellt die aktuelle Situation vor ganz praktische Probleme. So fehlen in Deutschland für die aktuelle und kommende Obst- und Gemüseernte wegen des verhängten Einreiseverbots (25.03.) rund 300.000 eingeplante Saisonarbeitskräfte, die nicht mehr nach Deutschland kommen können. Doch die Natur macht keine Pause – die Jungpflanzen müssen in die Erde und das Frühgemüse geerntet werden. Diese Arbeiten sichern unsere Lebensmittelversorgung und lassen sich nicht verschieben, wenn unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln gesichert werden soll.
Gleichzeitig bricht unzähligen Menschen in der aktuellen Krise das Einkommen weg und sie sind zum Nichtstun verdammt, weil sie in ihren Berufen nicht mehr arbeiten können. Aktuell wird an verschiedenen Plattformen gearbeitet, die diese Menschen und Landwirt*innen zusammenbringen sollen. Es ist wichtig und gut, schnelle Lösungen zu finden, um die Lücken auf den Betrieben zu füllen. Und es ist schön zu sehen, wie viele Menschen bereit sind, in der Landwirtschaft mit anzupacken.
Doch sollten wir uns jetzt auch fragen, weshalb diese drastische Lücke überhaupt entsteht. Warum werden unsere Erdbeeren und der so beliebt Spargel meist von osteuropäischen Saisonarbeitskräften geerntet? Die Antwort liegt auf der Hand. Harte körperliche Arbeit für einen meist miesen Lohn, von dem oft noch Kost und Logie abgezogen wird. Das ist für viele Menschen im Inland kein attraktives Angebot.
In diesen Tagen wird oft über Wertschätzung der Landwirtschaft gesprochen. Bei den Saisonarbeitskräften kommt die Wertschöpfung selten an. Statt jetzt die Standards für Saisonarbeit runterzuschrauben– wie jüngst von Deutschem Bauernverband und Landwirtschaftsministerin Klöckner gefordert – sollten wir endlich über echte Wertschöpfung sprechen. Wir brauchen endlich faire Preise für Lebensmittel und damit auch für die Menschen, die sie erzeugen.
Bald keine Bauernhöfe mehr?
Gerade jetzt wird deutlich, dass sich unser Ernährungssystem schon lange in eine absurde Richtung entwickelt. Die bäuerlichen Betriebe verschwinden mehr und mehr. Stattdessen nimmt eine arbeitsteilige industrialisierte Landwirtschaft immer größeren Raum ein. Die Lieferketten werden globalisiert und damit anfällig für Krisen. Gerade die bäuerlichen Betriebe mit regionalen Wirtschaftskreisläufen, Familienarbeitskräften und Direktvermarktung sind krisenfester. Das zeigt sich jetzt umso mehr. Denn hier wird für Menschen in der Region produziert und nicht für einen anonymen Weltmarkt. Spezialisierte Betriebe, dessen Geschäftsmodell auf kurzfristige und billige Arbeitskräfte ausgelegt ist, kann nicht nachhaltig sein. Mindestens für einen Teil in der Lieferkette nicht.
Wir alle sollten spätestens jetzt die lokalen Betriebe in unserer Umgebung unterstützen, auch wenn die Preise vielleicht manchmal höher sind. Denn letztlich müssen wir alle bereit sein, mehr für unsere Lebensmittel zu zahlen, denn Qualität hat ihren Preis. Nur so können Produktionssysteme entstehen, die auch krisensicher sind und niemanden ausbeuten.
Während der Pandemie ist es dringend erforderlich, dass auch Saisonarbeiter*innen die nötigen Hygienebedingungen einhalten können. Bei der Bereitstellung von angemessenen Unterkünften und Aufklärung in den jeweiligen Sprachen dürfen die Betriebe jetzt nicht allein gelassen werden.
Es ist gut, dass die Bundesregierung Hilfe für Bäuerinnen und Bauern und das Lebensmittelhandwerk auf den Weg bringt, um die Situation zu meistern. Doch wir sollten jetzt auch darüber nachdenken, was wir aus der Krise lernen können und müssen. Es darf kein Rückschritt passieren bei den Arbeitsbedingungen. Gerade solch eine Notlage, die uns alle betrifft, sollte unsere Solidarität mit den Menschen fördern, die hart arbeiten für unsere Lebensmittel. Mit unserer Kaufentscheidung stehen wir ein für besseren Arbeits-, Lohn- und Unterbringungsbedingungen.
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